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Was das Gericht nicht lesen kann…

Fast jede:r kennt das aus eigener Erfahrung: Tritt man mit einer Verwaltungsbehörde mit einem bestimmten Anliegen in Kontakt, so erklärt sich die jeweilige Stelle oft für unzuständig. Wie wir seit „Asterix erobert Rom“ wissen, war das auch schon in der Antike so (oder jedenfalls im Frankreich der 1970er-Jahre). Die Unzuständigkeit einer Behörde muss aber nicht unbedingt schlecht sein oder gar – wie die Suche nach dem „Passierschein A 38“ – verrückt machen. Ein Grund kann zum Beispiel sein, dass ein bestimmtes Vorhaben einfach nicht bewilligungspflichtig ist; in solchen Fällen besteht dann eben kein Anlass für eine Behörde, tätig zu werden – eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten (sofern es nicht irgendeine andere Stelle gibt, die darauf beharrt, man müsse diese oder jene Erledigung einer bestimmten anderen Stelle vorlegen).

Dass eine Behörde zunächst einmal prüft, ob sie für eine Erledigung überhaupt zuständig ist, ist verfahrensrechtlich vollkommen korrekt: Nach § 6 Abs 1 AVG hat die Behörde „ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen; langen bei ihr Anbringen ein, zu deren Behandlung sie nicht zuständig ist, so hat sie diese ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu weisen“. Dem Verwaltungsgerichtshof zufolge ist die Zuständigkeit einer Behörde somit „eine stets notwendige verfahrensrechtliche Vorfrage eines Sachbegehrens“ (VwGH 21.06.1994, 92/07/0203).

(Ebenfalls seit Jahrzehnten anerkannt ist, dass die Behörde ihre Zuständigkeit [oder eben Unzuständigkeit] „in jeder Lage des Verfahrens“ von Amts wegen wahrzunehmen hat [VwGH 25.03.1968, 1026/67]. Das kann bisweilen dazu führen, dass der Behörde auch erst in einem relativ fortgeschrittenen Stadium „auffällt“, dass sie gar nicht zuständig ist. Aber das ist eine andere Geschichte…)

Bei Rechtsmitteln kommen – im Vergleich zu den meisten verfahrenseinleitenden Anträgen – weitere Zuständigkeitsvoraussetzungen hinzu: Der Rechtsmittelwerber muss die jeweilige gesetzliche Frist einhalten und „beschwerdelegitimiert“ (also zur Rechtsmittelerhebung berechtigt) sein. Und natürlich muss es überhaupt einen Rechtsakt geben, der angefochten werden kann.

Darüber, wie strikt Rechtsschutzinstanzen die Einhaltung der Rechtsmittelfristen prüfen, wurde in diesem Blog schon berichtet. Einen innovativen Ansatz, wie man als Rechtsschutzinstanz einen „ungeliebten“ Akt loswerden kann, hat nun das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in einem Kärntner Fall aufgezeigt (BVwG 11.08.2022, W225 2256134-1). Der Spruch des BVwG lautet wie folgt:

„Das Bundesverwaltungsgericht beschließt […] über die Beschwerde des XXXX Naturschutzbeirates als Umweltanwalt gegen die als ‚Bescheid‘ bezeichnete Erledigung der XXXX Landesregierung vom 19.04.2022, Zl. 07-A-UVP-1370/37-2022:

Die Beschwerde wird gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG iVm § 18 Abs. 3 AVG als unzulässig zurückgewiesen.“

Was war geschehen?

Die Kärntner Landesregierung hatte mit Datum vom 19.04.2022 über einen bestimmten Antrag entschieden (es ging um einen UVP-Feststellungsantrag, was hier aber nicht so wichtig ist). Auf der ersten Seite der Entscheidung stand unter dem Briefkopf des Landes Kärnten fettgedruckt,  g e s p e r r t  und unterstrichen „BESCHEID“. Am Ende dieses „Bescheids“, auf Seite 12, stand zu lesen – nach den Feststellungen des BVwG „in einwandfrei leserlicher Druckschrift“:

„Für die Kärntner Landesregierung:
Der Landesrat:
Mag. Schuschnig

Über dem Namen befand sich ein „mit blauem Kugelschreiber angefertigter Schriftzug“.

So weit, so unspektakulär, möchte man meinen: ein Bescheid, der im Namen der Landesregierung vom ressortmäßig zuständigen Landesrat unterschrieben wurde.

Das BVwG entschied jedoch:

„Der Schriftzug auf der im Verwaltungsakt aufliegenden Urschrift der angefochtenen als ‚Bescheid‘ bezeichneten Erledigung erfüllt die Merkmale einer Unterschrift nicht.

Zwar muss, wie oben bereits erwähnt, die Anzahl der Schriftzeichen einer Unterschrift der Anzahl der Buchstaben des Namens nicht entsprechen, doch besteht der Nachname der genehmigenden Person im vorliegenden Fall aus insgesamt zehn Buchstaben. Die Urschrift ist jedoch nur mit einem kurzen Schriftzug abgezeichnet, dem keine irgendwie geartete Buchstabenfolge zu entnehmen ist. Erkennbar ist lediglich der Anfangsbuchstabe ‚S‘, an den zwei unidentifizierbare Zeichen anschließen.

Damit liegt jedenfalls kein Buchstabengebilde vor, aus dem der Name der genehmigenden Person auch in Kenntnis derselben noch in irgendeiner Form herauslesbar wäre. Aus dem Schriftzug ist nämlich mit Ausnahme des Anfangsbuchstaben kein einziger weiterer Buchstabe erkennbar, der auch nur ansatzweise zur Klärung der Identität der genehmigenden Person beitragen würde (vgl. im Gegensatz dazu VwGH 19.02.2018, Ra 2017/12/0051, wo im zugrundeliegenden Fall die ersten Buchstaben eines Namens mit sechs Buchstaben deutlich erkennbar waren). Es liegt somit im gegenständlichen Fall auch keine infolge eines starken Abschleifungsprozesses abstrahierende Linie vor, aus der – im Lichte sonstiger erkennbarer Buchstaben – auf weitere Buchstaben geschlossen werden könnte.

Der Schriftzug der Abzeichnung der Urschrift stellt damit eine bloße Paraphe dar, die nach der oben zitierten Rechtsprechung keine Unterschrift ist.

Der als ‚Bescheid‘ bezeichneten Erledigung der belangten Behörde vom 19.04.2022 fehlt es somit mangels einer Unterschrift des genehmigenden Organs bzw. eines Hinweises auf eine elektronische Genehmigung an der Bescheidqualität, weshalb sich die Beschwerde gegen eine als Bescheid absolut nichtige Erledigung richtet und das Verfahren daher nach wie vor bei der belangten Behörde anhängig ist.

Liegt kein Bescheid vor, so hat dies den Mangel der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes zu einem meritorischen Abspruch über das gegen die Erledigung erhobene Rechtsmittel zur Folge. Die Zuständigkeit reicht in derartigen Fällen nur so weit, das Rechtsmittel wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen (vgl. VwGH 28.02.2018, Ra 2015/06/0125).“

Hand aufs Herz: Unterschreiben Sie leserlich? Ist aus Ihrer Unterschrift der Name „herauslesbar“? Und zwar ohne vernünftigen Zweifel? Ich würde sagen: Bei mir ist das nicht so. Ist deshalb mein Führerschein ungültig? Mein Reisepass? Meine Wohnsitzmeldung und in weiterer Folge auch meine Eintragung ins Wählerregister? Meine Eheschließung?

Mehr noch: Sind womöglich alle zwischen 1986 und 1992 erlassenen „Bundesgesetze“ absolut nichtig? Oder ist der Name der seinerzeit das verfassungsmäßige Zustandekommen beurkundenden Person gerade „noch in irgendeiner Form herauslesbar“?

Unterschrift von Kurt Waldheim

Zur „Klärung der Identität der genehmigenden Person“ hätte der betreffende Landesrat vom BVwG sicherlich auch aufgefordert werden können, Stellung zu der Frage zu nehmen, ob der „Schriftzug auf der im Verwaltungsakt aufliegenden Urschrift“ von ihm stammt – und ob er die Erledigung tatsächlich persönlich genehmigt hat. Es wäre wohl auch möglich gewesen, den Landesrat anzurufen oder ihn – um jeden Zweifel über seine Identität auszuräumen – persönlich zu laden.

Aber so konnte die Angelegenheit offenbar – mit der gesetzlich gebotenen Rücksicht „auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis“ – effizienter erledigt werden, jedenfalls aus Sicht des BVwG. „Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß [§] 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.“ – Nächster Akt, bitte!