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Können Jurist:innen eigentlich rechnen?

Rechnen ist die logische Verknüpfung von Objekten, von daher scheint es auf den ersten Blick gut zur Rechtswissenschaft zu passen, die ja sogar mit derselben Buchstabenfolge beginnt. Allerdings handelt es sich bei den zu verknüpfenden Objekten meistens um Zahlen, und da stellt sich bei vielen Jurist:innen heraus, dass es einen objektivierbaren Grund hat, warum sie keine Karriere in der Physik, Statistik oder Mathematik eingeschlagen haben.

Eben aufgrund dieser sozialen Realität haben sich findige Jurist:innen vor vielen Jahrhunderten den schönen Grundsatz iudex non calculat zurecht gelegt, der zB in § 62 Abs 4 AVG seinen Niederschlag gefunden hat:

„Schreib- und Rechenfehler oder diesen gleichzuhaltende, offenbar auf einem Versehen oder offenbar ausschließlich auf technisch mangelhaftem Betrieb einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage beruhende Unrichtigkeiten in Bescheiden kann die Behörde jederzeit von Amts wegen berichtigen.“

Wenn man also als Jurist:in schon rechnen muss, dann soll man auch jederzeit nachrechnen dürfen!

Preispsychologie ist allerdings ein Thema, mit dem sich Anwält:innen unbedingt näher beschäftigen sollten. Wie eine Mitteilung der Abteilung für Bildung und Integration der Stadt Graz zeigt, setzt mittlerweile sogar die öffentliche Hand auf psychologische Preisschwellen:

Sehr geehrte Erziehungsberechtigte,
liebe Eltern!

Ihr Kind NN ist zur Schulischen Tagesbetreuung in der VS XY an 5 Tagen angemeldet.

Wie hoch ist Ihr monatlicher Beitrag?
220,59999999999999 EuroDiese Angabe ist ohne Gewähr, Irrtümer und Änderungen vorbehalten!

Wie kommen Sie zu einer Ermäßigung?
Eine Ermäßigung ist abhängig von der Höhe Ihres Familieneinkommens.
Beachten Sie bitte die Tariftabelle auf unserer Homepage.
Bei der Berechnung ist KEIN Code erforderlich.
Berechnung nur mit vorheriger Online-Terminvereinbarung auf der Homepage des ABI Service möglich!
Die Berechnung kann in einer Servicestelle der Stadt Graz, in der Zeit vom 16. Mai bis 30. Juni 2022 gemacht werden.
Bitte bringen Sie unbedingt die vollständigen Unterlagen zur Beitragsberechnung mit!
Wenn Sie das nicht tun, wird Ihnen ab September 2022 immer der volle Betrag pro Monat verrechnet.

[…]

Man könnte allerdings einwerfen, dass die öffentliche Hand das hinter ‚modern‘ wirkenden Ideen stehende wirtschaftliche Konzept nicht immer punktgenau versteht: Sogar in Zeiten steigender Inflation dürfte sich der psychologische Effekt von 220,59999999999999 statt 220,60 Euro in recht überschaubaren Grenzen halten.

Im Vorjahr waren übrigens noch 214.89999999999998 Euro fällig. Falls ich richtig gerechnet habe (ich bin ja Jurist), ist der Beitrag demnach um 5,70000000000001 Euro gestiegen. Dafür ist aus dem Punkt ein Komma geworden. Hat sich da etwa jemand beschwert, dass aufgrund von Art 8 Abs 1 B-VG in Österreich das Komma als Dezimaltrennzeichen zu verwenden ist?

(Bevor ich einen Shitstorm ernte: Nachdem ich vor meinem Jusstudium als Programmierer tätig war, ist mir der technische Hintergrund dieses Gleitkomma-Artefakts durchaus bekannt. Allerdings hätte ich angenommen, dass ein Geldbetrag in einem automatisch erzeugten Dokument von vornherein immer mit zwei Nachkommastellen formatiert werden sollte, denn auch „220,6 Euro“ würden irgendwie ein schiefes Bild abgeben.)