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Die außerordentlich mangelhafte Revision

Die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) ist nicht einfach nur das am häufigsten ergriffene Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte (LVwG, BVwG, BFG). Sie gehört auch zu den literarisch und argumentativ anspruchsvollsten Fingerübungen im öffentlichen Recht.

Interessanterweise gilt dies ganz unabhängig vom Schwierigkeitsgrad der jeweils im Mittelpunkt stehenden Rechtsfrage. Die Schwierigkeit (und Schwerfälligkeit) dieser Literaturgattung ergibt sich vor allem daraus, dass zunächst (1.) das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt werden muss, bevor überhaupt (2.) die Rechtswidrigkeit der anzufechtenden Entscheidung dargelegt werden kann.

Wann liegt nun aber eine solche „Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung“ vor? Der vom Verfassungsgesetzgeber als erstes angeführte und in der Praxis mit Abstand häufigste Fall ist jener einer Abweichung von der Rechtsprechung des VwGH.

Hier beginnt sich die Katze in den Schwanz zu beißen: Ins Innerste der Böhmischen Hofkanzlei eingelassen wird also nur, wer klar aufzeigen kann, dass die Unterinstanz sich in Widerspruch zur Rechtsprechung des Höchstgerichts gesetzt hat. Für die Zulässigkeit einer Revision wird sogar noch etwas mehr verlangt wird als „nur“ das Vorliegen eines Widerspruchs zur Rechtsprechung – die Rechtsfrage muss über den konkreten Einzelfall hinaus von Bedeutung sein.

Von daher müsste mit der Darlegung der Zulässigkeit an sich schon alles gesagt sein, was zu sagen ist. Das wäre aber natürlich viel zu einfach.

Um vom VwGH erfreuliche Post „im Namen der Republik“ zu bekommen (und nicht einfach nur einen schnöden „Beschluss“), muss man zweimal überzeugend erklären, warum 1 plus 1 nicht 3 ergibt: einmal in der Zulässigkeitsbegründung, einmal in der (eigentlichen) Revisionsbegründung. Nicht in denselben Worten, nicht im selben Kapitel, nicht aufeinander aufbauend. Aber trotzdem doppelt – und jeweils für sich logisch und schlüssig.

Und so muss bei einer außerordentlichen Revision wirklich alles zusammenpassen:

  • Zunächst darf man natürlich keinesfalls auf die Zulässigkeitsbegründung vergessen. (Passiert einem das doch und hat man großes Glück, erhält man einen Verbesserungsauftrag, den man dann allerdings auch erfüllen muss. Meistens hat man aber schlicht Pech.)
  • Die Zulässigkeitsbegründung und die Revisionsbegründung müssen unbedingt gesondert ausgeführt werden.
  • In der Zulässigkeitsbegründung muss bezogen auf den konkreten Fall dargelegt werden, warum die Entscheidung über die Rechtsfrage für den Ausgang des Verfahrens relevant ist und mit welcher Aussage das Verwaltungsgericht von welchen Aussagen welcher Entscheidungen des VwGH abweicht.
  • In der Zulässigkeitsbegründung darf nicht auf die Revisionsbegründung verwiesen werden.
  • Umgekehrt darf auch nicht in der Revisionsbegründung auf die Zulässigkeitsbegründung verwiesen werden – in einer außerordentlichen Revision ist ein vermeintlich leser:innenfreundliches „siehe oben“ oder „wie bereits ausgeführt“ keine gute Idee.
  • Die Zulässigkeitsbegründung darf aber auch nicht wortident mit der Revisionsbegründung sein.
  • Vor allem darf man aber nichts vergessen, denn: „Der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit der Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen“.

Bei all diesen Anforderungen ist der VwGH im Allgemeinen sehr streng. Sie gelten nur dann nicht, wenn es sich bei der Revisionswerberin um eine Gebietskörperschaft oder eine Behörde handelt (eine konkrete Rechtsquelle für diese Ausnahme kann ich zwar nicht anführen, dafür aber unzählige reale Beispiele).

Soweit die Theorie. Für die Praxis kann man ungefähr so zusammenfassen, wie man eine außerordentliche Revision nicht macht:

  • Man führt in der Zulässigkeitsbegründung kein einziges Judikat an, weil „zu diesen Problemkreisen, soweit überblickbar, keinerlei höchstgerichtliche Judikatur gegeben ist“.
  • Man führt in den Revisionspunkten kein einziges verletztes materielles Recht an – schon gar nicht das angestrebte Endergebnis (zB die Erteilung einer beantragten Genehmigung), sondern lediglich das „Recht […], dass ein Beschwerdeverfahren nach den Bestimmungen des AVG und des VwGVG 2014, insbesondere unter Beachtung der §§ 53 und 53 AVG und des § 17 VwGVG 2014 durchgeführt wird“ sowie das „Recht nach einem fairen Verfahren vor einem unparteiischen Gericht“ gemäß „Artikel 47 der Charta der Europäischen Union“.
  • Man rügt dann in den Revisionsgründen das der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Amtssachverständigengutachten als inhaltlich unrichtig – selbstverständlich ohne in den zwei bis drei Instanzen davor jemals ein Gegengutachten vorgelegt zu haben oder dieses wenigstens beim VwGH nachzuliefern.
  • Man führt in den Revisionsgründen dann entgegen der Zulässigkeitsbegründung („soweit überblickbar, keinerlei höchstgerichtliche Judikatur gegeben“) drei Entscheidungen des VwGH an, denen das angefochtene Erkenntnis widerspricht.
  • Man beantragt, das angefochtene Erkenntnis aufzuheben, „und zwar weil das Erkenntnis im Widerspruch zu den §§ 52 und 53 AVG und des § 17 VwGVG 2014 steht“, und „die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an das Landesverwaltungsgericht zurück[zu]verweisen“.
  • Und zum Schluss beantragt man, „den [!] Rechtsträger des Bundesverwaltungsgerichts [!] den Ersatz der Aufwendungen des Revisionswerbers“ aufzutragen.

All diese Zitate sind selbstverständlich frei erfundene Lehrbeispiele.

Gelingt einem aber der geschilderte Spagat, so erhält man dafür vom Staat einen fürstlichen – und wohl deshalb seit 2008 nicht mehr valorisierten – „Aufwandersatz“ in Höhe von 1.106,40 Euro. Inklusive Umsatzsteuer. Carl Spitzweg lässt grüßen.

Im Zweifel also:
lieber ein zwei oder drei
Gedichte schreiben.